Die Formel 1 und ich

Warum interessiert sich eine 19-Jährige für schnelle Autos? Diese Frage wurde mir unzählige Male gestellt. Der heutige Weltfrauentag ist der ideale Zeitpunkt, um mit Vorurteilen aufzuräumen.

 

Meine Begeisterung für schnelle Autos teile ich mit meinem Vater. Er war es, der mich schon in meinen frühesten Kindertagen mit auf den damaligen A1-Ring nahm. Die Begeisterung war ansteckend. Schnell verstand ich, um was es geht. In der Volksschule konnte ich meiner Lehrerin statt aller Flüsse Österreichs alle aktiven Formel-1-Fahrer aufzählen. Meiner Schulkarriere schadete meine Leidenschaft aber nicht. Im Gegenteil, sie wurde ein Teil meines Lebens.

 

Ich war bald bekannt als das Mädchen, das Formel 1 liebt. Am Montag nach einem Formel-1-Rennen wurde ich auf den Rennverlauf angesprochen und musste manchem männlichen Mitschüler erklären, warum das Rennen so ausging, wie es ausging. Ein paar waren immer darauf aus, mich aufzuziehen, sollte mein Favorit keine gute Leistung abgeliefert haben. Mit anderen diskutierte ich darüber, wer wohl der beste Fahrer sei.

Maria Reyer als Dreijährige mit ihrem Vater beim Österreich Grand Prix 1997 auf der Tribüne.

Auch meine Matura blieb nicht von meiner größten Passion verschont. Da ich mich in Englisch schon meiner anderen großen Leidenschaft, der Musik, widmete, musste Geschichte für ein bisschen Motorsport herhalten (mein Spezialgebiet war eine Aufarbeitung der Geschichte des Motorsports im Aichfeld und somit auch der Entstehung der Rennstrecke in Spielberg). Mein Heimatort spielte dabei keine unwesentliche Rolle. Immerhin war der Flugplatz Zeltweg-Hinterstoisser praktisch die Wiege des österreichischen Motorsports, bis man schlussendlich die Rennstrecke in Spielberg gebaut hat.

 

Ich wuchs mit den Formel-1-Rennen in der eigenen Gemeinde auf. Das Gefühl, wenn die Menschenmassen sich schon am Mittwoch und Donnerstag vor dem Rennwochenende auf den Feldern in der ganzen Region niederlassen; wenn die Straßen wegen der Menschenmassen gesperrt werden müssen und somit ein mittelgroßes Verkehrschaos auslösen; wenn darüber diskutiert wird, wer das Rennen am Sonntag wohl gewinnen wird und bei ausgelassener Feierstimmung Wetten abgeschlossen werden. Die Bevölkerung kannte kein anderes Gesprächsthema.

 

Diese Vorfreude und die Anspannung, die dieser Tage in der Luft lagen, ist wohl bis heute unerreicht. Auch das Motorengeheule, wenn das erste freie Training am Freitagvormittag begann und man das Rauschen durch das offene Fenster bis ins Kinderzimmer hören konnte – unbezahlbar. Auch sind es die vielen Erinnerungen, die unbezahlbar sind. Die ersten Rennen. Im Alter von vier Jahren besuchte ich mein erstes Formel-1-Rennen, und es sollten noch viele folgen.

 

Als 2003 die Anlage dicht gemacht wurde, war dies, als ob man mir einen Teil meiner Kindheit genommen hätte. Ich war damals neun Jahre alt und verstand noch nicht recht, warum es lange Zeit kein Rennen mehr in der Steiermark geben sollte. Ein Moment, der mir wohl ewig in Erinnerung bleiben sollte, war ein Besuch am Ring ein paar Jahre später mit Freunden und meinen Eltern. Wir wollten nachsehen, wie das Gelände nun aussah, nachdem man die alten Anlagen abgerissen hatte. Was wir vorfanden, war ein Betonfriedhof. Überall Schutt und Asche.

Es war, wie auf einem Schlachtfeld nach dem letzten Kampf. Allen standen Tränen in den Augen. Alle waren sie ebenfalls mit dem Ring und den Rennen aufgewachsen. Der Region brachten die Veranstaltungen jedes Jahr das sichere Überleben. Diese Einnahmequelle war nun nicht mehr vorhanden. Ausgelöscht. Der Zirkus ist weitergezogen. Er hinterließ viele verlorene Existenzen und die Ernüchterung, dass es wohl nie mehr so werden würde, wie es einmal war. Zum Glück sollte ich mich irren.

 

Ich dachte aber im Leben nicht daran, mit der Formel 1 zu brechen. Weiter verfolgte ich im Fernsehen jedes einzelne Rennen. Ohne Heim-Grand-Prix fehlte trotzdem etwas. Nun beginnt eine ganz neuen Phase in der Region. Nachdem der Österreich-Grand-Prix für 2014 bestätigt wurde, konnte man die Aufbruchstimmung spüren. Jeder wollte wieder mitmachen, aufbauen und sich rüsten – für den großen Tag Ende Juni. Es war, als ob Dietrich Mateschitz dem Aichfeld neues Leben eingehaucht hätte.

 

Ich bin eine Woche nach dem schwärzesten Wochenende der Formel-1-Geschichte geboren worden. Mai 1994. Vielleicht eine Fügung des Schicksals.
 Für mich ist der Sport mehr, als nur ein Sport. Obwohl ich den großen Ayrton Senna nie live fahren sah, bin ich dennoch sehr beeindruckt von ihm. Diese Ausstrahlung. Der Film über sein Leben rührte mich auch nach dem fünften Mal noch zu Tränen. Eine wahre Persönlichkeit.

 

Sehr wohl war ich ein Teil der nächsten großen Ära. Michael Schumacher. 1 Mann, 91 Siege, 7 Titel. Unerreicht. Und ich war auch ein großer Fan, ein Tifoso. Ich war begeistert von dieser Konstanz. Einen anderen Fahrer gab es für mich nicht. Entweder „Schumi“, oder gar keiner. Ferrari war für mich der Inbegriff von Formel 1.

Ich verstand es nicht, wie man nur McLaren- oder Häkkinen-Fan sein konnte. Das war für mich immer der Gegenpol. Der Feind, den es zu besiegen galt. Vielleicht war es aber einfach auch nur meine kindliche Naivität und mein Vater, ebenfalls großer Schumacher-Fan, der auf mich abfärbte. Dieser Tage muss ich wieder öfters an diese Zeiten zurückdenken. Denn ich verbinde „Schumi“ auch immer mit meiner Kindheit. Und nun scheint es so, als ob diese Zeit tatsächlich für immer vorbei wäre.

 

Die Pubertät gilt bekanntlich als Trotzphase und so wollte ich auch trotzig sein. Plötzlich war ich kein Schumacher-Fan mehr, ein Spanier war jetzt in. Gegen meine innere Überzeugung wechselte ich halbherzig das Lager. War jetzt eine ‚Blaue’. Briatore und Alonso – das neue Dreamteam. Ehrlich gesagt, war ich nur Alonso-Fan, um nicht einer Meinung mit meinem Vater zu sein. Das war in dieser Phase undenkbar und unfassbar uncool. Und zunächst durfte ich mich auch sehr freuen und mit einer gewissen Genugtuung auf die Machenschaften der Renault-Truppe schauen. 2005 und 2006 hatte ich viel zu feiern. So konnte ich mich leichter an meine neue Fan-Karriere gewöhnen.

 

Doch dann kam das zu Erwartende etwas unerwartet. Schumacher tritt zurück. Für mich brach eine kleine, aber doch bedeutende Welt zusammen. Formel 1 ohne „Schumi“? Wie soll das bitteschön funktionieren? Das geht doch nicht! Der kann doch nicht einfach aufhören! Und doch, er konnte. Ich war wieder ein „Schumi“-Fan. Ich war nie wirklich ein Alonso-Fan. Ich wusste immer, dass ich eigentlich ein „Schumi“-Fan war. Und jetzt ist er weg. Und ich? Mitten in der Pubertät hilflos ohne Lieblingsfahrer.

 

Doch bald eilte die Rettung herbei. In Form eines wortkargen Blonden aus dem hohen Norden. Ich wusste sehr wohl, wer er war, doch war ich von mir selbst erstaunt. In dieser ganzen Zeit des innerlichen Schumacher-Alonso-Konflikts übersah ich den wohl „lästigsten“ Konkurrenten der beiden komplett. Kimi Räikkönen. Ich kann mich nicht wirklich an seine Zeit bei McLaren erinnern. Ich ignorierte ihn mit größtem Erfolg. Nur mehr so viel blieb mir im Gedächtnis: Wenn Kimi gewann, ärgerte ich mich immer maßlos, was denn dieser nervige Finne da schon wieder zu suchen hat.

Nun beschäftigte ich mich etwas mehr mit diesem Finnen und musste meine anfängliche  negative Einstellung schnell revidieren. Räikkönen war ein würdiger „Schumi“-Nachfolger. Und als er 2007 schlussendlich Weltmeister wurde, war eine neue Fan-Liebe geboren. Seither war ich großer „Iceman“-Fan. Das Mysterium, das ihn umgibt. Dieses Andere. Diese Ruhe. Dieses Charisma. Diese Gelassenheit. Einzigartig. Ein echter Typ.

 

Anfangs wusste ich auch nicht, was ich mit Lewis Hamilton anfangen sollte. Ich war sehr beeindruckt von seiner Debütsaison. Wer sonst schaffte es schon in seiner ersten Saison, um nur einen Punkt den Titel zu verlieren? Faszinierend. Doch als Hamilton mehr und mehr zum Schauspieler, Dramatiker und Heißläufer mutierte, kristallisierte sich für mich der kühle Finne als idealer Fahrer heraus.

 

Den Aufstieg von Sebastian Vettel aus der Sicht eines Räikkönen-Fans zu sehen, war ebenfalls sehr spannend. Schon in Monza 2008 war ich beeindruckt. Der Vettel-Hype erfasste mich bis dato allerdings noch nicht. Er ist ein toller Kerl. Der ideale Schwiegersohn. Doch für mich macht er Kimi zu viel nach. In seiner Art, seinem Auftreten, sogar seiner Kleidung. Seine emotionalen Ausbrüche finde ich, im Gegensatz zu anderen, gut. Das macht ihn authentisch und menschlich. Auch sein Humor spricht für sich. Das einzige, was mich bei Vettel stört, ist seine Aalglattheit. Es gibt keine Ecken. Mir fehlt das Charisma, die große Persönlichkeit eines Sennas, Schumachers oder Alonsos. Er ist kein Typ.

 

Die Formel 1 begleitet mich auch in meinem täglichen Leben. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht die neuesten Neuigkeiten checke. Ich möchte immer auf dem neuesten Stand sein. Ich versuche, so nahe wie möglich an den Zirkus heranzukommen. Dieser macht es einem aber leider nicht leicht. Früher war es sehr viel einfacher, in Kontakt mit Formel-1-Persönlichkeiten zu treten. Heute ist alles strikt abgetrennt. Steril und sauber. Nach außen dringt nur das, was die akkreditierten Journalisten berichten. Der persönliche Kontakt existiert nicht mehr.

 

Mein Vater hat mir einmal davon erzählt, wie er eines schönen Nachmittags mit dem Rad an den Ring fuhr, um einen kleinen Spaziergang rund um die Rennstrecke zu machen, als er bemerkte, dass dort ein Rennwagen gerade Testfahrten absolvierte. Er spazierte ohne jegliche Vorahnung in das Fahrerlager und weiter in die Box, wo man gerade an einem Auto schraubte. Vor ihm stand Ayrton Senna. Der Brasilianer spulte gerade ein paar Testrunden auf dem Ring in Spielberg ab. Fern ab von Medien oder Journalisten. Ein anderes Mal traf er die gesamte Boxenmannschaft von Michael Schumacher (noch in seinen Ferrari-Tagen) bei einem bekannten Italiener und unterhielt sich mit einem seiner Mechaniker.

 

Diese Geschichten bleiben für die Ewigkeit. Sie steigern meine Begeisterung für diesen unglaublichen Sport nur umso mehr. Heutzutage ist diese Offenheit leider nicht mehr vorhanden, trotzdem möchte ich ein Teil dieses faszinierenden Sports werden. Er bewegt und begleitet mich bereits mein ganzes Leben lang und ich möchte mit ihm alt werden. Manche nennen es Spinnerei eines naiven kleinen Mädchens. Andere sagen, dass man als Frau in dieser Branche sowieso keine Chancen hat. Ich bin vom Gegenteil überzeugt. Ich werde mir meinen Traum eines Tages erfüllen. Seine Träume sollte man eben nie aufgeben.