In Österreich können Formel-1-Fans auch die Saison 2022 wieder abwechselnd im ORF und auf ServusTV verfolgen. Nachdem der öffentlich-rechtliche Sender den Saisonauftakt am vergangenen Wochenende live übertragen hat, ist an diesem Wochenende wieder die TV-Anstalt aus dem Hause Red Bull an der Reihe.
Seit einem Jahr sitzt dort Andreas Gröbl als Hauptkommentator am Mikrofon, ich habe den 51-Jährigen in der Winterpause noch vor dem Saisonstart zum Interview gebeten. Wir haben über seine neue Rolle als Formel-1-Kommentator, über seinen Arbeitgeber, und natürlich über die Formel 1 ganz generell gesprochen.
Zum Einstieg gleich eine etwas provokante Frage: Hätten Sie sich gewünscht, dass das Saisonfinale 2021 live auf ServusTV gelaufen wäre?
Andreas Gröbl: „Das klingt ein wenig abgedroschen, aber das Leben ist eben kein Wunschkonzert. Es gibt Verträge, das ist ein Millionen-Business. Es war von Anfang an klar, dass ServusTV das erste Rennen und der ORF das letzte Rennen [2021] bekommt.“
„Für mich persönlich macht es sowieso keinen Unterschied, weil ich alle Rennen live kommentiere. Rechtlich darf der jeweils andere Sender nach einer Schutzperiode von 30 Minuten das Rennen im Fernsehen zeigen – und das machen wir ja auch. Daher sind Philipp Eng und ich in der Kabine gesessen – besser gesagt am Ende gestanden – und haben das Rennen genauso live kommentiert.“
Gehen wir zeitlich ein wenig zurück: Wie haben Sie reagiert, als ServusTV Sie als Kommentator für die Formel 1 angefragt hat?
Gröbl: „Also fragen mussten sie mich nicht (lacht). Das haben sie gewusst, dass ich das gerne machen möchte. Das war auch naheliegend, weil ich mich in den Jahren davor schon um die Formel 1 sehr intensiv gekümmert habe. Aber das war kein Freibrief, ich musste mich schon intern dafür qualifizieren. Das war nicht einfach.“
„Zusätzlich schwierig wurde es, als Nico Hülkenberg verpflichtet wurde, den jeder gerne haben würde. Da wusste man auch nicht, wie er das machen würde. Er kam immerhin direkt aus dem Cockpit. Da waren sehr viele Unbekannte dabei. Aber das Schöne daran: Wenn man die richtige Partie beisammen hat, kann man sehr schnell etwas Ordentliches entwickeln. Wenn man eine Mischung hat aus Erfahrung, Begeisterung, etwas Frisches, dann kann man es zwar immer noch versemmeln, wenn man kein Talent hat. Aber ich bin auch nicht der, der das beurteilen möchte.“
Welche Rückmeldungen kamen von den Zuschauern?
Gröbl: „Natürlich erhält man Rückmeldungen, zum einen über die Quote. Wobei ich dazusagen muss, dass die Quote für mich kein Gradmesser dafür ist, ob wir unseren Job gut gemacht haben oder nicht. Die Quote ist der Gradmesser dafür, ob die Formel 1 funktioniert und ob sie bei ServusTV funktioniert, und das ist der Fall. Bei all dem Gerede darf man nie vergessen: Die Formel 1 ist viel größer als die beiden Sender, die sie übertragen.“
„Ich habe von Beginn an auch gesagt, wir brauchen keinen Personenkult. Viele Sender definieren sich über die kultigen Moderatorinnen und Moderatoren und über den ach so lustigen Experten – das kann nicht das Geschäftsmodell sein. Das Geschäftsmodell muss sein: Man muss den Sport gut, fair und sauber abbilden.“
ServusTV gehört zum Red Bull Mediahouse, das impliziert eine gewisse Nähe zur Dachmarke Red Bull. Gleichzeitig fahren zwei Teams in der Formel 1, die von Red-Bull-Besitzer Dietrich Mateschitz finanziert werden (Red Bull Racing und AlphaTauri). Wie geht man damit um?
Gröbl: „Als Sender, der von Dietrich Mateschitz finanziert wird, wird man in der Öffentlichkeit natürlich zunächst kritisch beäugt. Jeder fragt sich: Wie werden die das machen? Stichwort Red-Bull-Hofberichterstattung. Das war mir von vorneherein klar.“
„Das ist das Einzige, das ich für mich in Anspruch nehme: Das gibt es bei uns nicht. Das gibt es allein schon deswegen nicht, weil [Technik-Experte] Philipp Brändle, der bei Mercedes gearbeitet hat, und Nico Hülkenberg, der bei zwei Mercedes-Teams unter Vertrag war, neben mir sitzen. Das darf auch nicht passieren. Man muss deshalb aber auch nicht im Buchhalter-Ton kommentieren, sondern darf sich auch freuen, wenn Max Verstappen ein sensationelles Rennen abliefert. Denn ich respektiere eine große Rennfahrerleistung – egal von wem.“
In Österreich gab es bislang nur zwei Formel-1-Kommentatoren. Heinz Prüller ist selbst zur Ikone der Sportberichterstattung geworden, Ernst Hausleitner hat seine Fußstapfen mittlerweile gut ausgefüllt. Wie haben Sie es angelegt und sich auf diese Aufgabe vorbereitet?
Gröbl: „Auf diesen Job habe ich mich 50 Jahre lang vorbereitet (lacht). Das war in meinem Kopf immer drinnen, noch bevor ich mich beim ORF beworben habe. Die mentale Vorbereitung läuft also schon lange. Die Detailvorbereitung auf das erste Rennen ist wie eine große Prüfung auf der Uni. Du weißt, der Tag wird kommen und du musst so und so viele Dinge können und wissen, wo du nachschaust, wenn dies oder jenes passiert. Das ist einfach Vorbereitung, das klingt unromantisch, aber es ist so. Ich sage daher immer: ‚Failing to prepare is preparing to fail‘.“
„Das eine ist: Was werde ich sagen bei dem Rennen. Stil ist natürlich noch einmal etwas anderes, nämlich wie werde ich etwas sagen. Und wenn man das lange genug macht, dann findet man seinen eigenen Stil. Das war auch beim Heinz so. Er ist sicher ein Vorbild für mich. Ich war sieben Jahre lang mit ihm unterwegs und bin teilweise neben ihm gesessen während er kommentiert hat. Dabei habe ich viel darüber gelernt, wie man bei Live-Übertragungen im Fernsehen mit gewissen Situationen umgeht.“
Was hat Heinz Prüller ausgezeichnet? Was konnten Sie sich abschauen?
Gröbl: „Heute noch ist für mich Heinz einer der Allergrößten – wie er zu seinen Informationen gekommen ist in einer Zeit vor Google, wie er das verpackt hat, wie er das wie aus der Hüfte geschossen herausgezogen hat, wenn er es gebraucht hat. Und vor allem: Heinz hatte eine liebevolle Art, eine Geschichte so zu verpacken, die bei anderen Kollegen nicht einmal als Geschichte wahrgenommen worden ist.“
„Er war sehr detailverliebt. Er hat eine unglaubliche Freude gehabt bei seiner Arbeit. Ich habe ihn in all den Jahren nicht einmal schimpfen gehört, dass er ein Rennen kommentieren muss. Er war auch nie grantig oder müde, er war immer mit einer Begeisterung dabei. Das hat mir gezeigt: Wenn das Feuer in dir brennt, dann fühlt es sich auch nicht wie Arbeit an.“
„Auch mit Murray Walker durfte ich drei Rennen kommentieren – legendär! Eine Erfahrung fürs Leben. Er war genau so [wie Heinz Prüller], beide waren aus dem gleichen Holz geschnitzt. Von den alten Kerlen kann man heute noch sehr viel lernen. Das heißt aber nicht, dass man noch so kommentieren soll.“
Was war die größte Herausforderung im Vorjahr beim Kommentieren? Wie haben Sie immer den Überblick behalten?
Gröbl: „Ab Ungarn, so um die Sommerpause herum, ist das Team – Hülkenberg, Brändle, Lauda und ich – gut zusammengewachsen. Ab dem Zeitpunkt wusste auch jeder, was seine jeweilige Rolle ist. Mathias Lauda in Österreich dazuzuholen war ein guter Move. Dadurch waren die Rollen unter den Experten viel klarer. Nico musste nicht mehr alles abdecken. Dadurch war es einfach, den Überblick zu behalten.“
ServusTV setzt generell auf ein etwas anderes Konzept als der ORF, was die Experten betrifft. Wie hat sich das entwickelt?
Gröbl: „Nico Hülkenberg wollten wir alle haben. Es war klar, man braucht einen deutschsprachigen Experten. Wir haben natürlich ein wenig gehofft, dass Sebastian Vettel womöglich aufhört (lacht). Denn ich denke, er wäre ein exzellenter Co-Kommentator, auch wenn ich nicht glaube, dass er das machen würde.“
„Das Engagement von Philipp Brändle war eine Fügung des Schicksals. Christian Klien hat ihn zufällig beim Skifahren getroffen. Dabei haben sich die beiden über Kliens neue Rolle bei ServusTV unterhalten und Philipp fand das ganz spannend und hat sich angeboten. Wenn sich die beiden Vorarlberger nicht zufällig beim Skifahren treffen und miteinander reden, kommt er nie zu uns.“
„Philipp Eng war ein Wunsch von mir. Der Kerl ist so gut und cool. Er ist nicht nur Rennfahrer, sondern einfach auch Fan. Das ist ganz selten. Und Fans ticken einfach anders. Er ist wirklich großartig. Es ist immer ein Vergnügen mit ihm die ‚kleinen‘ Rennen zu kommentieren, die parallel beim ORF live laufen.“
„Christian Klien als Experte war relativ klar, weil er schon eine Historie davor hatte mit ‚Sport und Talk aus dem Hangar 7‘. Und Mathias Lauda hatten wir auch auf dem Zettel. Zunächst war es aber nicht so dringend notwendig, noch jemanden zu holen, da wir sowieso schon einige Experten an Bord hatten. Dann haben wir aber gesehen: Beim Österreich-Rennen haben wir sehr viel Sendezeit. Daher dachten wir, es wäre vielleicht gut für das Publikum, mal eine andere Stimme noch dazuzuholen.“
„Mathias war sofort dabei und Feuer und Flamme. Eigentlich war sein Einsatz nur für das eine Wochenende geplant gewesen – wir sind aber froh, dass wir alle schnell erkannt haben, dass daraus etwas Dauerhaftes werden soll.“
Wie schauen die Pläne für diese Saison aus?
Gröbl: „Es bleibt alles, so wie es war. Also auch alle Experten. Bei Nico ist halt immer die Frage: Was passiert, wenn er ein gutes Auto bekommt? Das steht immer im Raum. Aber es würde niemanden geben, der sich mehr freut als ich, wenn er noch einmal so eine Chance bekommt.“
Anm.: Mittlerweile wurde von Aston Martin bestätigt, dass Nico Hülkenberg auch den Grand Prix von Saudi-Arabien als Ersatz für den an Corona erkrankten Sebastian Vettel bestreiten wird.
Wie sieht es mit der Quote aus. Im Vorjahr hatte ServusTV rund 500.000 Zuschauer im Durchschnitt. Gab es vor dem Saisonstart eine Zielsetzung? Wie zufrieden ist man mit dieser Zahl?
Gröbl: „Ich wäre enttäuscht, wenn beim ORF immer 50 Prozent mehr Menschen zuschauen würde als bei ServusTV. Dann würde ich mir Gedanken machen, aber es war ja marginal. Wichtig ist ein stabiler Marktanteil, der liegt meist bei rund 40 Prozent. Das bedeutet: Vier von zehn Österreichern, die vorm TV sitzen, schauen Formel 1. Wir hatten auch keine Zielsetzung.“
Beim Grand Prix von Österreich kam es im Vorjahr zum direkten Duell der beiden TV-Sender. Sowohl ServusTV als auch ORF haben das Heimrennen live übertragen. Und die Kollegen Hausleitner und Co. haben das Match auch eindeutig gewonnen, wenn man so will. War das erwartbar?
Gröbl: „Das war für mich völlig klar. Es ist auch erklärbar: Denn welcher Zuschauer geht davon aus, dass auch das zweite Österreich-Rennen bei ServusTV live zu sehen ist, wenn schon das erste dort gelaufen ist und man gelernt hat, dass sich beide abwechseln.“
„Es war ein wunderschöner Beweis dafür, wie groß die Aufgabe ist – und dass Fernsehen eine Gewohnheitsdisziplin ist. Daher kann man auch sagen: 110.000 Zuschauer haben sich aktiv gegen die Gewohnheit und für uns entschieden. Klar hätte sich jeder gewünscht, dass es anders ausschaut. Aber solche Matches muss man annehmen, da gibt’s keine Ausreden. Sie waren an jenem Tag besser, aber das muss ja nicht immer so bleiben.“
Worauf dürfen sich die TV-Zuschauer in dieser Saison freuen?
Gröbl: „Wir haben ein klares Konzept, das wir auf drei Jahre angelegt haben. Was ich mir wünschen würde: Dass wir Philipp Brändle noch mehr einbauen. Denn er kam sehr kurzfristig ins Team, in diesem Jahr haben wir ein wenig mehr Vorbereitungszeit. Da bin ich auch sehr dahinter, dass wir die Technik noch mehr in den Vordergrund rücken. Denn die Rückmeldungen sind sehr gut gewesen. Daran arbeiten wir.“
Kommen wir zur Abschlussfrage, die sehr einfach und gleichzeitig sehr schwierig zu beantworten ist: Wird Max Verstappen seinen Titel verteidigen können?
Gröbl: „Das sage ich dir im Dezember 2022 (lacht). Vom Fahrerischen her: Ja. Ein erster großer Erfolg macht nicht nur etwas mit einem Fahrer, sondern auch mit einem Team. Das hat man schon bei Sebastian Vettel damals gesehen. Nach dem Titel gehen Dinge oft viel leichter von der Hand. Erfolg ist die Basis für weiteren Erfolg.“